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Lenz

Obwohl Ewald Lenz ein brillanter Geist ist, hat er während seines Berufslebens im Polizeiarchiv Zürich gearbeitet und führt auch jetzt ein unauffälliges Leben. Mit seinem Wissen hätte er sicherlich Karriere machen können. Einer seiner wenigen Freunde ist Kommissar Eschenbach, dem er in der Vergangenheit immer wieder für seine Fälle Informationen zugespielt hat, ohne aber seine Quellen preiszugeben. Kommissar Eschenbach stellt nach seiner Rückkehr aus einer Auszeit fest, dass die Welt eine komplett andere geworden ist. Auch in Zürich ist vieles anders geworden. Während seiner drei Monate in den USA ist Tochter Kathrin aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und seine kühl wirkende Stellvertreterin Ivy Köhler scheint auch nicht mit offenen Karten zu spielen. Ist er vielleicht auch nicht mehr derselbe? Oder Doch? All diese Herausforderungen nimmt Eschenbach recht gelassen an. Dann wird die Leiche von Walter Habicht in Zürich gefunden. Er soll sich umgebracht haben, doch Eschenbach glaubt nicht daran. Der Tote hat keine Bekannten, Verwandten oder Freunde. Eine Assistenzprofessur an der Uni Zürich ist ein Hinweis, aber kaum will Eschenbach diesem Hinweis nachgehen, wird er ausgebremst. Die Bundesstaatsanwaltschaft hat sich eingeschaltet und verhindert die Herausgabe von Informationen seitens der Universität. Nur eins kann Eschenbach noch herausfinden: der Tote war wohl aktiver Teil eines Terrornetzwerkes. Das ist alles höchst mysteriös. Gegen alle Widerstände beginnt er zu ermitteln und muss feststellen, dass sein Freund Lenz zu den Verdächtigen gehört. Eschenbach hält dies für einen großen Irrtum, doch Lenz ist inzwischen bereits in das Fadenkreuz internationaler Ermittlungen geraten. Als Eschenbach dies alles erfährt, ahnt er nicht, dass dieser Fall weit über die schweizerischen Grenzen hinausgehen wird. Als er versucht, seinen Freund dazu zu befragen, ist dieser verschwunden.

Michael Theurillat, Jahrgang 1961, ist in Basel geboren. Er studierte Wirtschaftswissenschaften, Kunstgeschichte und Geschichte. Jahrelang arbeitete er erfolgreich im Bankgeschäft. Mit den Romanen um Kommissar Eschenbach hat er eine der beliebtesten Krimiserien der Schweiz geschaffen. „Rütlischwur“ wurde 2012 mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Mit seiner Familie lebt er in der Nähe von Zürich.

Die Romane von Michael Theurillat sind für mich immer wieder besonders lesenswert. Er schafft es in seinen Werken, eine sehr natürliche, alltägliche und durchaus auch unspektakulär wirkende Polizeiarbeit so zu beschreiben, dass trotzdem ein entsprechender Spannungsbogen aufgebaut wird. Man ist permanent fasziniert von den einzelnen Charakteren und deren Handlungsweisen. Auch wenn manches im logischen Aufbau vom Leser abzusehen ist, wird durch geschickte Wendungen seinerseits immer wieder ein erneuter „Wow“-Effekt erzeugt. Ohne sich „reißerischer Action“ bedienen zu müssen, gelingt es ihm, mit seiner detailliert und historisch untermauerten Expertise eine runde Kriminalgeschichte zu konzipieren. Durch zwei Handlungsstränge in etwas verschobenen Zeitlinien muss man zu Beginn etwas auf die Zeitangaben an den einzelnen Kapiteln achten, um nicht zu sehr verwirrt zu werden. Über 25 Kapitel hinweg, die alle mit Kapitelüberschrift sowie den besagten Ort und Zeitangaben im Stile eines polizeiprotokollarischen Schreibens beginnen, ist dies allerdings kein Problem. Hervorragend bringt er die schweizerisch eigene Mentalität sehr einfühlsam und doch überaus kurzweilig an die Leserschaft.

Ein Buch, das einen, im positiven Sinne, sehr eigenen Flair hat und ein sehr gelungener Mix aus Fakten und Fiktion ist. Wer also eher gemächlichere, schön geschriebene Krimis mag, und nicht unbedingt auf nervenzerreißende Spannungsmomente aus ist, der wird hier absolut gut bedient. Die Fans dieser Reihe werden erneut ihre Freude daran haben und sicherlich sowieso schon zugegriffen haben. Neueinsteiger werden sich in die Fanriege einreihen.

Michael Müller
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