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Wer mit den Toten spricht

Cassie Raven, die eine Vorliebe für Tattoos und Piercings hat, arbeitet als Assistentin der Rechtsmedizin in einer Leichenhalle im Norden Londons. Als Expertin auf diesem Gebiet kümmert sie sich um die Körper der Toten wie auch um deren Hinterbliebene. Als ein Gothic Teenager gebracht wird, der angeblich Selbstmord begangen hat, hegt Cassie Zweifel und glaubt nicht an diese eingetretene Todesart. Selbst in dieser Szene firm, kehrt sie dorthin zurück und macht sich auf die Suche nach der wahren Todesursache. Eigentlich ist sie ziemlich hart im Nehmen, doch als ihre Großmutter ihr gesteht, sie über den Tod ihrer Eltern jahrelang angelogen zu haben, zieht es ihr zunächst einmal den Boden unter den Füßen weg. Seit ihrer Kindheit war sie in dem Glauben aufgewachsen, dass ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Aber es gab gar keinen tödlichen Autounfall. Vielmehr wurde ihre Mutter brutal ermordet und ihr Vater als der vermeintliche Täter verurteilt. Dafür saß er siebzehn Jahre im Gefängnis. Obwohl er bereits seit vier Jahren aus dem Gefängnis entlassen ist, nimmt er erst jetzt mit Cassie Kontakt auf und behauptet, unschuldig zu sein. Warum sollte sie ihm trauen? Vielleicht trachtet er ja auch nach ihrem Leben? Ihr ganzes Leben hatte sie sich gewünscht, neben ihrer geliebten Großmutter Babica noch ein Elternteil zu haben, welcher für sie da ist. Ein Teil von ihr will ihm natürlich glauben, der andere ist verunsichert und hat Angst davor, zu enden, wie ihre brutal erschlagene Mutter.
Zur Klärung des vermeintlichen Selbstmordes des Teenagers ist sie in Kontakt mit Detective Phyllida Flyte und mit deren Hilfe macht sie sich dann auch auf die Suche nach ihrer eigenen Vergangenheit und Familiengeschichte. Bei ihren Recherchen tauchen aber mehr Fragen als Antworten auf. Doch Cassie ist überzeugt, dass die Toten bereit sind zu reden, wenn man ihnen genau zuhört. Denn nur die Toten können die ganze erschütternde Wahrheit enthüllen.

A.K. Turner dreht Dokumentarfilme und True-Crime Dokumentationen für das Fernsehen und schreibt Romane. Viele Jahre arbeitete sie als Produzentin für die BBC. Die Figur der Cassie Raven entwickelte sie ursprünglich für eine BBC Radio-Sendung. Auf Einladung von Val McDermid, die sie entdeckte, nahm sie am Harrogate Crime Festival teil. Der erste Fall von Cassie Raven, „Tote schweigen nie“, hat die Leser international, damit auch in Deutschland, begeistert. A.K. Turner lebt in London.

Mit der Rechtsmedizinassistentin Cassie Raven hat A.K. Turner eine Person geschaffen, die einen mitnimmt und fasziniert. Da mein Einstieg nun erst beim zweiten Forensik-Thriller von ihr erfolgt ist, hatte ich trotz der in sich geschlossenen Geschichte zuweilen immer irgendwie ein Gefühl, dass es besser gewesen wäre, mit Teil eins zu beginnen. So manche sich auftuende Frage zu ihrer Vergangenheit hätte sich damit vermutlich, vielleicht oder auch nicht, leichter erklären lassen. Nichtsdestotrotz ist dies ein sehr spannender Kriminalroman mit viel Insiderwissen aus der Pathologie, der geschickt mit einer familiären Vergangenheit der besonderen Art durch die Autorin überaus lesenswert verknüpft wurde. Mal plätschern die Geschehnisse eher so dahin, doch dann, vor allem im letzten Drittel, geht es mit Vollgas voran und durch geschickte Wendungen kommt keinerlei Langeweile auf. In meinen Augen steckt da noch viel Potenzial für weitere Fälle in der Figur, und ich hoffe, dass nun, nach Klärung ihrer Familienvergangenheit, eine von mir ersehnte Fokussierung auf ihre Tätigkeit als Assistentin der Rechtsmedizin und den damit verbundenen Fällen ansteht. Mit Blick darauf freue ich mich schon jetzt auf den nächsten Fall von Cassie Raven!

Michael Müller
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