Wenn sich Politiker, insbesondere ein Ministerpräsident, zum Filmfest und bei dessen Eröffnung zeigen, ist entweder gerade Wahlkampf oder es gibt interessante Neuigkeiten. Im Fall des Filmfest München 2018 ging es wohl um beides.
Markus Söder verkündete stolz, dass man es nicht nur politisch sondern auch kulturell mit Berlin aufnehmen möchte. "Auf Augenhöhe mit Berlin", wie es der bayerische Staatsminister für Digitales, Medien und Europa, Georg Eisenreich, formulierte. Wurde das Budget für das bayerische Sommerfestival bereits ordentlich erhöht, soll das Münchner Filmfest ab 2019 bis zu drei Millionen Euro mehr im Jahr durch das Land Bayern bekommen, so dass künftig insgesamt bis zu 7,5 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung stehen. Die damit verbundene Ansage, dass das Filmfest in der bayerischen Metropole mindestens mit der Berlinale mithalten soll, war klar. Und so sollen künftig nicht nur Filme an der Isar präsentiert werden, auch die Themen Computerspiele und Virtual Reality sollen näher in den Fokus kommen. Dazu soll es ein neues Festivalzentrum geben. Ein strammes Unterfangen, mit dessen Planung eines komplett umgekrempelten Programms gleich nach Abschluss des diesjährigen Filmfests begonnen werden soll.
Doch auch als bisheriges Modell konnte das Filmfest München, das heuer zum 36. Mal stattfand, begeistern: rund 80.000 Filmfans, etwas weniger als im vergangenen Jahr, stürmten trotz - oder gerade wegen - hoher Temperaturen und bestem Wetter die Kinos und genossen 185 aktuelle deutsche und internationale Filme aus 43 Ländern. Darunter waren 43 Welt- und 133 Deutschlandpremieren, die in München gefeiert wurden. Daneben gab es einige Neuerungen, da erstmals Filmfans auch von zuhause aus gegen eine geringe Gebühr Filme streamen konnten, für die sie keine Karten mehr bekommen haben oder für die sich der weite Wege nach München nicht gelohnt hätte. Darüber hinaus haben rund 73.000 Menschen die Livestreams der Filmmakers-Live-Reihe über die Fanpage bei Facebook verfolgt. Gerade bei den beiden prominentesten Gästen und CineMerit-Award-Preisträgern Emma Thompson und Terry Gilliam gab es keine andere Chance, den Gesprächen zu lauschen, weil Karten für die Veranstaltungen innerhalb kürzester Zeit ausverkauft waren. Thompson und Gilliam kamen natürlich nicht mit leeren Händen an die Isar, beide hatten ihre neuen Filme dabei. Während die Britin ihren neuesten Streifen "Kindeswohl" präsentierte, in dem sie eine Familien-Richterin spielt, die sich ihre Arbeit alles andere als leicht macht, konnte der Wahl-Brite Gilliam mit "The Man Who Killed Don Quixote" seine 25 Jahre währenden Bemühungen um die Verfilmung dieses Stoffes beenden und endlich einen fertigen Film präsentieren, der zuvor schon bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes als Abschlussfilm gezeigt wurde. Beide, die Oscar-Preisträgerin wie auch das Monty Python-Mitglied, nahmen sich viel Zeit für ihre Fans. Außerdem wurden die argentinische Filmemacherin Lucrecia Martel und der deutsche Regisseur Philip Gröning mit Retrospektiven geehrt.
Als bester internationaler Film wurde der Film "Shoplifters" von Hirokazu Kore-eda mit dem ARRI/Osram Award ausgezeichnet, der zuvor schon in Cannes den Hauptpreis erhalten hatte. Mit dem CineVision Award für den besten internationalen Nachwuchsfilm wurde "Border" von Ali Abbasi ausgezeichnet. "Alles ist gut" von Eva Trobisch gewann den FIPRESCI-Preis 2018, den Preis des internationalen Kritikerverbandes.
Am letzten Festivaltag wurden auch die Publikumspreise des Festivals vergeben. Den Bayern 2 und SZ Publikumspreis ging an den Film "Wackersdorf" von Oliver Haffner. Der Film porträtiert die Geschichte um die Proteste gegen den Bau einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage im oberpfälzischen Wackersdorf Anfang der 1980er Jahre. Den Kinderfilmfest-Publikumspreis bekam dieses Jahr "100% Coco" von Tessa Schram. Er ist zum ersten Mal mit einem Preisgeld von 1.000 Euro dotiert und wird von SZ Familie gestiftet. Der Film erzählt von der 13-jährigen Coco, die mit ihrem ausgefallenen Modestil zunächst aneckt, dann aber als "Style Tiger" berühmt wird.
Der ONE-FUTURE-PREIS, verliehen von der Interfilm-Akademie, ging in diesem Jahr an den Film "A Letter to the President" von Roya Sadat.
Eine lobende Erwähnung ging an den Dokumentarfilm "Welcome to Sodom - Dein Smartphone ist schon hier" von Florian Weigensamer und Christian Krönes.
Eröffnet wurde das Filmfest in diesem Jahr mit einer deutschen Produktion, als "Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm" mit hochkarätiger Besetzung gezeigt wurde. Den Abschluss bildete wiederum eine deutsche Produktion mit internationalem Cast, als "ANON", eine Dystopie in einer komplett digitalisierten Welt, gezeigt wurde.
In den vergangenen zwei Jahren konnte schon festgestellt werden, dass in den Filmen immer mehr geraucht wurde. Nun ist noch jede Menge Alkohol dazu gekommen, so dass man rein bildlich an die 1970er Jahre erinnert wurde, wo es zum guten Ton gehörte, zu rauchen wie ein Schlot und harte Drinks zu sich zu nehmen, als gäbe es kein Morgen. Interessanter Weise gab es trotz der Diskussionen und Debatten um #MeToo jede Menge Sex, spielerisch oder in Vergewaltigungen, und nackte Brüste zu sehen wie selten zuvor.
Komödien waren einmal mehr nur schwer zu finden. Dabei herausgestochen sind aber neben der spanischen Produktion "We Are Champions" auch der deutsch-österreichische Fernsehfilm "Nichts zu verlieren" wie auch der US-britische Kinofilm "Juliet, Naked".
Historische ("Der Mordanschlag", "Murer - Anatomie eines Prozesses", "L'échange des princesses", "Cabros de Mierda", "Anna's War" oder "Wackersdorf") und dystopische Stoffe gab es gleich mehrere zu sehen ("Cómprame un Revólver", "ANON", "In My Room" oder "Ende Neu"), aber auch die Auseinandersetzung mit der Kirche ("Die Erscheinung") oder Einsamkeit insgesamt oder im Alter ("Hannah"). Musikfilme gab es auch in diesem Jahr zu sehen, darunter "Black Wave", "It Must Schwing - The Blue Note Story" oder die bereits in Cannes präsentierte Dokumentation "Whitney" über das viel zu kurze Leben der Ausnahmesängerin Whitney Houston. Starke Frauen gab es unter anderem bei "Alanis", "The Tale" oder "Apostasy" zu sehen. Das Thema Digitalisierung und Nutzen oder Gefahr von Sozialen Medien wurde immer wieder beleuchtet, zum Beispiel in "Searching", dessen Handlung sich ausschließlich auf Computerbildschirmen abspielt. Es wurde aber auch auf Unterthemen wie Sinn und Gefahr von Online-Dating eingegangen, wie in "Wobble Palace" oder "Safari - Match Me If You Can". Um Cybermobbing geht es in "Rufmord", in dem aus einer Laune heraus das Leben einer jungen Grundschullehrerin in Bayern zerstört wird. Höchst verstörend stellt sich "A Young Man With High Potential" dar, der am Ende den Preis für die beste Produktion erhalten hat.
Das deutsche Fernsehen präsentierte sich mit hochkarätigen und herausragenden Produktionen, die Hoffnung auf einen bunten Fernseh-Herbst machen, ganz vorne zu nennen "Sieben Stunden" und "Hanne".
Auch das Kinderfilmfest erfreute sich erneut einem großen Zulauf, wenn die neun internationalen Produktionen im Gasteig gezeigt wurden und jede Menge Leben in das sonst ruhige Gebäude durch die kleinen Besucherinnen und Besucher kam.
Beim Kino Open Air ging es in diesem Jahr um Filme rund um das Boxen, wobei gezeigt wurde, dass es mehr gibt als nur die "Rocky"-Streifen und "Wie ein wilder Stier". Das Wetter hat - meist - mitgemacht, so dass an lauen Sommerabenden Filme auf dem Gasteig Gelände genossen werden konnte.
Wie in den vergangenen Jahren wurden auch in diesem Jahr Serien gezeigt, wenn auch nur wenige Folgen. Neben Serien aus den USA, Australien und Belgien zeigte die von Constantin produzierte deutsche Serie "Das Parfum", dass es großes internationales Potenzial hat. Besonders herausgeragt hat dabei die neueste Produktion des Bezahlsenders SKY, als die ersten Bilder und Szenen von "Das Boot" im Rahmen eines Filmmaker Live gezeigt wurden.
Darüber hinaus präsentierte der neue Hauptsponsor Tele5 natürlich seine "SchleFaZ", die schlechtesten Filme aller Zeiten, aber auch zwei D-Movies, herausragende deutsche Filme, wie auch zwei "Skandal"-Streifen in eigenen Veranstaltungen.
Neben Filmen und Serien lockten auch zahlreiche Empfänge, Diskussions-Panels und Veranstaltungen für Fachbesucher zahlreiche "Filmleute" an die Isar, insgesamt wurden in diesem Jahr rund 160 sogenannte "Branchentreffs" durchgeführt. Ein neuer Rekord!
Nicht alle Münchner Kinos der vergangenen Jahre waren wieder mit an Bord, und so musste in diesem Jahr auf das "ARRI"-Kino verzichtet werden. Wie auch im vergangenen Jahr wurde nicht ganz klar, nach welchen Kriterien die Filme für die Pressevorführungen ausgesucht wurden, unter anderem war es der Presse nicht möglich, "Kindeswohl" zu sehen, und wieso die Pressevertreter wieder in kleine Kinos ausweichen mussten.
Nachdem angekündigt wurde, dass die Festival-Aktivitäten in Sachen Social Media in diesem Jahr verstärkt würden, war nicht ganz klar, nach welchen Kriterien die Posts ausgewählt wurden, die weitergepostet oder auf der Live Wall gezeigt wurden. Zumeist wurden Bilder von Filmfest-Besuchern, oft Selfies, gezeigt, bei denen der Nachrichtenwert nicht ganz klar wurde.
Zu den Neuerungen zählte auch, dass in diesem Jahr keine Ticket-Ampeln mehr an den Filmfest-Kassen aufgestellt wurden, auf den schon vor dem teilweise langwierigen Anstellen festgestellt werden konnte, ob es zu den Filmen überhaupt noch Karten zu kaufen gibt. Ein Service, der sich in den vergangenen Jahren als sehr nützlich erwiesen hatte.
Dennoch hatte in diesem Jahr das Filmfest München einen sehr interessanten Mix an Themen und Filmen zu bieten, wie er in den vergangenen Jahren zu vermissen war. Bedingt durch das frühe Ausscheiden der deutschen Mannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft war auch zahlreichen Filmen ein größerer Erfolg beschieden als zunächst befürchtet wurde, und das meist auch zurecht.
Nach dem Filmfest ist vor dem Filmfest, und so können wir uns jetzt schon auf die Neuerungen im kommenden Jahr freuen, wenn wir uns wiedersehen beim Filmfest München 2019! Dann vom 27.06. bis 06.07.2019.