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Filmfest München 2022

Die Corona-Pandemie hat weltweit ihre Spuren hinterlassen, so natürlich auch in der Filmwirtschaft. Die Kinos mussten schließen, und man musste sich Alternativen suchen, um Filme doch noch zeigen zu können. Doch dann fürchtete man ein Fehl an Filmen, da neue Filme nicht oder nur unter strengen Auflagen produzieren konnte. Auch das Filmfest München hatte unter all den Auflagen zu leiden, und so versuchte man in 2020 auf Autokinos auszuweichen, im vergangenen Jahr lag der Fokus auf Open Air-Kinos. Umso größer war die Freude in der Film- und Festivallandschaft, dass das Filmfest München in diesem Jahr wieder unter fast vor-pandemischen Vorzeichen stattfinden konnte. 120 Filme aus 52 Ländern, davon 35 Weltpremieren, wurden gezeigt, die rund 50.000 Zuschauer in die Kinos lockten. Da in diesem wie auch in den kommenden Jahren das Gasteig wegen Renovierung nicht als Festivalzentrum genutzt werden kann, wurde auf das Amerikahaus ausgewichen. So war erstmals das Festival-Herz inmitten der teilnehmenden Kinos und in unmittelbarer Nähe zur Hochschule für Film und Fernsehen. Das Amerikahaus bot dabei nicht nur den zum Kino umgewidmeten Theatersaal sowie Räume für Fachveranstaltungen und Gesprächsrunden, auch der Außenbereich wurde mit eingebunden. So konnten alle Festivalbesucher, nicht nur Fachbesucher, die Filmfest-Lounge nutzen und kühle Getränke und leichte Speisen in schattigen Plätzen genießen. Dass dabei der ein oder andere Promi gesichtet werden konnte, machte die Plätze nur noch ein bisschen reizvoller.
Neben den Filmen und Fachveranstaltungen gab es für geladene Gäste auch jede Menge Empfänge zu besuchen, und so feierte Arte sein 30-jähriges Bestehen mit einem Brunch im Garten des Instituts Francais, bei dem mit großem Stolz auf 17 Co-Produktionen verwiesen wurde, die auf dem Filmfest gezeigt wurden. Auch das ZDF und RTL+, die Castingagenturen und die Filmwirtschaft feierten die Rückkehr der fast wieder erlangten Normalität, und so wurde sich stürmisch begrüßt und geherzt, es wurde gefeiert, gegessen, getanzt und gelacht und Filme ohne Maske und Abstand gesehen, als hätte es Corona nie gegeben.
Dennoch war überall zu spüren, dass zwei Jahre Routine beim Filmfest fehlten, und so kamen einige Dinge nur sehr stockend in Gang, die vor Corona problemlos funktioniert haben. So gab es in diesem Jahr kaum wahrnehmbare Aktivitäten in Sachen soziale Medien. Wo sonst Monitore mit den besten Tweets aufwarteten, gab es höchstens auf offiziellen Pressebildern den Hashtag #ffmuc zu sehen, genutzt wurde er aber kaum. Auch die Filmfest-Homepage war nicht wirklich auf Zack, und so dauerte es mitunter ungewöhnlich lange, bis dort Neuigkeiten verfügbar waren.
Erstmals wurde das Filmfest München nicht im Mathäser Filmpalast eröffnet, sondern in der Isarphilharmonie, wo dann im Anschluss an den Eröffnungsfilm "Corsage" gleich gefeiert wurde.
Das sonst kostenfreie Open Air-Kino zu einem bestimmten Thema fehlte in diesem Jahr ganz, vielmehr wurde auf ein bewährtes Freiluftkino gegen Bezahlung zurückgegriffen, in dem Filme aus dem Gesamtprogramm des Filmfestes gezeigt wurden.

Erstaunliche viele deutsche Fernsehproduktionen gab es in diesem Jahr zu sehen, und nicht nur Fernsehfilme, auch Fernsehserien waren am Start. "Das Netz - ein Wintermärchen" wird mit Sicherheit von sich reden machen, wenn die Produktion für das Erste kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft im November ausgestrahlt wird. In dieser Serie werden teils mafiöse Machenschaften in einem fiktiven Weltfußballverband aufgezeigt, der eine Weltmeisterschaft im arabischen Raum veranstaltet und durch die Schaffung einer Weltliga mehr Einnahmen generieren will. Die privaten Streamingdienste waren auch beim Filmfest vertreten und zeigten neue Filme und Serien. Die Sky-Produktion "Munich Games" widmet sich dem 50. Jahrestag der Olympischen Spiele, der in diesem Jahr begangen wird, insbesondere aber dem damals stattgefundenen Attentat auf die israelische Mannschaft. Amazon Prime Video zeigte die deutsche Serie "Damaged Goods", eine Cliquen-Comedy über fünf Millennials. Netflix zeigte mit der deutschen Serie "King Of Stonks" die finstere Doppelmoral der Finanzbranche, und gewann damit den erstmals verliehenen Preis Bernd Burgemeister Preis für die beste Serienproduktion. Ferdinand von Schirach war erneut mit einer Reihe neuer juristischer Fälle in Serie rund um Bestrafung, Justiz und Schuld in "Strafe", einer RTL+ Produktion, zu sehen.

Bei den Filmen war erkennbar, dass #MeToo seine Spuren hinterlassen hat. Immer wieder wurde das Verhältnis zwischen Mann und Frau aufgezeigt, vor allem aber die großen Unterschiede in der Rollenwahrnehmung. Es wurden jede Menge starke Frauen gezeigt, die zwar Familie und Beruf unter einen Hut bekommen, dabei aber immer wieder deutlich erkennbar an den Rand des Machbaren und des Nervenzusammenbruchs geraten. Kaum auszuhalten ist es in der französischen Produktion "À Plein Temps", die die ohnehin schon prekäre Situation der alleinerziehenden und berufstätigen Mutter aufzeigt, die durch einen Zug- und Metro-Streik in Paris noch verschärft wird. "Alle wollen geliebt werden" von Katharina Woll erzählt die Geschichte einer Psychiaterin, die selbst Probleme damit hat, sich gegen ihre Familie durchzusetzen und ihr eigenes Leben zu Leben zu leben. Ähnlich verhält es sich in der britischen Produktion "True Things", in der eine berufstätige Frau ihr bisheriges Leben auf den Kopf und in Frage stellt, als sie sich Hals über Kopf in einen höchst unzuverlässigen, geheimnisvollen Mann verliebt.
Das atemberaubende französische #MeToo-Drama "Menschliche Dinge" mit einer herausragenden Charlotte Gainsbourg in der Hauptrolle basiert auf dem gleichnamigen Bestsellerroman "Menschliche Dinge" und ist inspiriert von dem „Fall Stanford“. Hier geht es um den Vorwurf einer Vergewaltigung gegen den Sohn eines berühmten Fernsehmoderator und einer Feministin, der aus verschiedenen Blickwinkeln äußerst spannend beleuchtet wird.

Eine Hommage erhielten zwei starke Frauen des Films, und wurden für ihre Arbeiten mit dem "CineMerit Award" ausgezeichnet: die italienische Schauspielerin Alba Rohrwacher und die deutsche Regisseurin Doris Dörrie, die ihren neuen Film "Freibad" vorstellte.

Von den Erlebnissen eines Afghanistan-Heimkehrers erzählt "Sentinelle Sud", in dem ein französischer Soldat gezeigt wird, der mit seinem alten Leben in Frankreich kaum mehr zurecht kommt, und sich richtig heimisch nur im Kreise seiner Kameraden und seiner Kompanie fühlt, und am liebsten zurück in den Einsatz gehen möchte. In "Rex Gildo - Der letzte Tanz" beleuchtet Regisseur Rosa von Praunheim das tragische Leben des Schlagerstars der 60er und 70er Jahre.
Auch Dokumentationen waren in den Wettbewerben vertreten, darunter "Notre-Dame in Flammen" von Regiealtmeister Jean-Jacques Annaud oder "The Princess" von Ed Perkins über das Leben und den tragischen Tod von Prinzessin Diana. Begleitet wurden alle Filme von ihren Regisseuren, Produzenten und Schauspielern, die extra für das Filmfest an die Isar gereist waren, um ihre Werke dem Publikum vorzustellen und ein direktes Feedback mit nach Hause zu nehmen.

Durch die neue Partnerschaft mit dem Luxuswagenhersteller Audi wurde auch gleich eine neue Reihe und ein dazugehöriger Preis gestiftet, und so wurde erstmals in der Reihe "CineRebels" für neugierige Kinoabenteurer gezeigt.

Mit einer feierlichen Preisverleihung ging das 39. Internationale Filmfest München zu Ende. „Broker“ von Hirokazu Kore-eda wurde mit dem ARRI Award für den besten internationalen Film im CineMasters-Wettbewerb ausgezeichnet, Charlotte Wells erhielt für „Aftersun“ den CineVision Award für den besten internationalen Nachwuchsfilm. Der erstmals verliehene CineRebels Award ging an „Cook F**k Kill“ von Mira Fornay. Der FIPRESCI-Preis ging an den Film "Elfriede Jelinek - Die Sprache von der Leine lassen" von Claudia Müller, den CineKindl Award erhielt "Comedy Queen" von Sanna Lenken. Der Publikumspreis von Bayern 2 und der Süddeutschen Zeitung ging an "Wann kommst du meine Wunden küssen" von Hanna Doose, das Publikum des Kindesfilmfests zeichnete die Neuverfilmung des Otfried Preußler-Buchs "Der Räuber Hotzenplotz" von Michael Krummenacher aus. Mit dem One-Future-Preis ausgezeichnet wurde "Nicht ganz koscher – eine göttliche Komödie" von Stefan Sarazin und Peter Keller. Zum Abschluss des Filmfests wurde nach der großen Preisverleihung "Der perfekte Chef" mit Javier Bardem in der Hauptrolle als Deutschlandpremiere in der ausverkauften ASTOR Film Lounge im ARRI Kino gezeigt.
Nach diesem sehr erfolgreichen Filmfest kann die Branche sehr zuversichtlich in den Filmsommer gehen, denn einmal mehr wurde klar, dass das Gemeinschaftserlebnis Kino und Filme auf der großen Leinwand einfach durch nichts zu ersetzen sind. Bleibt zu hoffen, dass die Pandemie nicht wieder zu großen Einschränkungen in der Kultur führen wird, und sich die Lichtspielhäuser wieder bundesweit füllen dürfen.
Im kommenden Jahr feiert das Filmfest München sein 40. Jubiläum. Bleibt abzuwarten, womit das Filmfest-Team rund um ihre Chefin Diane Iljine zum runden Geburtstag aufwarten wird!

Pascal May